Ich hab noch nie locker gelassen. Nicht als es um mein Studium ging, nicht als ich den geilsten Job an Land gezogen habe, nicht als Überstunden zur nächsten Beförderung warteten. Mit eiserner Disziplin habe ich es zu etwas gebracht. Das ist doch positiv, oder? Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Soll Karriere denn alles im Leben gewesen sein?
Ich kann nicht glauben, dass es mir erst auf dieser Reise auffällt. Ich hab mich niemals treiben, oder das Leben passieren lassen. Und nun sitzt er neben mir, mit seiner karamellfarbenen Haut …
»Hast du dich schon entschieden?«, fragt er mich auf Spanisch. Ihn beschäftigt es genauso wie mich. Er streichelt meine Hand.
Wir sitzen am Steg, meine nackten Füße baumeln über der Lagune, mit Wasser so schwarz, dass man keine drei Zentimeter hineinschauen kann.
»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, gebe ich zu.
»Aber dein Flug geht schon morgen zurück nach Deutschland.«
Soll ich bei ihm bleiben? Hier im ecuadorianischen Dschungel?
Ich schaue ins Blätterdach hoch. Es schirmt die Sonne ab, hält die Dunstglocke gefangen, ich atme tief ein. Im Hintergrund zirpt es beständig.
»Du meinst, ich soll deine Jane sein?«, frage ich ihn mit einem Kichern. Ich blicke ihm in seine dunklen Augen. Sie sind wunderschön und ähneln der Farbe des Wassers unter uns. Heute lacht er nicht wie sonst, er verzieht keine Mine und wirkt nachdenklich. »Ich will nicht, dass du gehst. Du bist ein Dschungelmädchen. Gehörst hierher, zu mir.« Jetzt küsst er mich.
Meine Gedanken überschlagen sich. Unsere Lippen gehören definitiv zusammen. Mehr als das. Jede Sehne in mir will bleiben. Nicht nur, weil ich seit vier Wochen verdammt verliebt in ihn bin. Ich liebe diesen Wald. Alles fühlt sich so natürlich an, so normal. Nicht im falschen Körper geboren, aber im falschen Land. Ich schmiege mich dicht an ihn.
Es fängt an zu regnen. Ein Tropfen fällt auf meine heißen Wangen. Ich will nicht weg. Ein zweiter. Ja, definitiv nicht. Ein dritter. Ich bleibe.
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Meine Kurzgeschichte „Ich hab noch nie locker gelassen“ wollte ich auch hier mit dir teilen. Sie ist von persönlicher Bedeutung für mich, weil die Geschichte zum Teil auf wahren Begebenheiten beruht. Anders als die Hauptfigur im Text, bin ich nicht geblieben, ich bin zurück nach Deutschland geflogen. Ich bereue meine Entscheidung nicht, dennoch schleicht sich manchmal ein Gedanke in meinen Kopf.
Was wäre gewesen, wenn ich einfach geblieben wäre? Wie wäre dann mein Leben verlaufen? Es war eine der schwersten Entscheidungen in meinem Leben und ich denke auch heute noch sehr oft daran.
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